Der Tumor-Hacker
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Der Tumor-Hacker


Vincent Zoete entwickelt IT-Tools für die Krebsbekämpfung. Der Chemiker leitet zwei Gruppen an der Universität Lausanne und am Swiss Institute of Bioinformatics und prüft neue Wirkstoffe.

Als Vincent mit zwölf Jahren seinen ersten Computer erhielt, entdeckte er bald das Programmieren. Denn es machte dem Jungen wesentlich mehr Spass, seinen Rechner selber zu programmieren, als von anderen entwickelte Games zu spielen. Später belegte er während des Studiums an der Ecole d’ingénieur in Lille (vergleichbar mit einer Schweizer Fachhochschule) einige Informatikkurse. Doch der junge Mann wollte etwas Solides studieren. «Ich hätte nie gedacht, dass die Informatik irgendwann so wichtig werden würde», meint er 30 Jahre später mit einem Lächeln. Er entschied sich gegen seine Leidenschaft und für die Chemie, nachdem er sein Talent für dieses Fach entdeckt hatte.

Nach dem Studium folgte ein Doktorat im Bereich Arzneimitteldesign. «Ziel dieser Disziplin ist es, die Atomstruktur von Wirkstoffen zu verstehen und damit ihre Wirkung vorherzusagen. Alles ist nämlich ein bisschen Chemie», erklärt Vincent Zoete. Das betrifft sowohl Medikamente als auch Proteinen, Grundbausteine unserer Zellen. Wer die genaue Struktur kennt, kann die Wechselwirkungen zwischen Medikament und Protein vorhersehen: Ein Wirkstoffkandidat kann beispielsweise so angepasst werden, dass seine Form genau in eine Vertiefung im Zielprotein passt und so dessen Aktivität verändert.

Chemie mit dem Computer

Während seiner Dissertation machte der Forscher mehrere Bekanntschaften, die sein Leben veränderten. Im Privatleben war es eine Arbeitskollegin, die seine Lebenspartnerin wurde. Beruflich entdeckte er seine Leidenschaft für die Computermodellierung. Diese noch neue Technologie begeisterte ihn so sehr, dass er das Labor wechselte und seine Doktorarbeit bei einem Pionier auf diesem Gebiet abschloss: bei Professor Karplus, der 2013 für seine Berechnungen und Simulationen zum besseren Verständnis chemischer Prozesse den Nobelpreis für Chemie erhalten sollte. Vincent Zoete war sofort Feuer und Flamme für die Modellierung, weil sich damit Informatik und Chemie verbinden liessen: «Die Idee ist, den Computer mit chemischen und physikalischen Daten zu füttern und die Wechselwirkungen zwischen Wirkstoffen und Proteinen virtuell durchzuspielen, ohne dass die Wirkstoffe synthetisiert werden müssen. Wir können zwar noch nicht hundertprozentig vorhersagen, ob ein Wirkstoffkandidat wirklich bindet, keine toxische Nebenwirkung hat, sich im Körper richtig verteilt und schliesslich abgebaut und ausgeschieden wird», schränkt Vincent Zoete ein. Aber es ist möglich, sich aktive Moleküle auszudenken und eine Idee ihrer toxischen Effekte oder ihrer ungenügenden Wirksamkeit zu erhalten. Damit können die Labors ihre Anstrengungen auf die Moleküle mit den grössten Erfolgschancen konzentrieren und Fehlschläge in den Tierversuchen und später in den klinischen Studien am Menschen deutlich reduzieren.

Nach seinem ersten Kontakt mit der Modellierung bei einem der Pioniere auf diesem Gebiet begann der Forscher schon bald, für Onkologen zu programmieren. Eine Zusammenarbeit, die ihn 2004 ans Schweizerische Institut für Bioinformatik (SIB) in Lausanne führte, wo er seither als Forschungsleiter in der Gruppe von Professor Michielin arbeitet, den er einige Jahre zuvor bei Professor Karplus kennengelernt hatte. Dieses Institut bündelt die Bioinformatik-Expertise in der Schweiz – mit einem Netzwerk von Forschenden aus vielfältigen Bereichen, von der Analyse genetischer Daten bis zur Modellierung von Molekülen. Vincent Zoete schätzt dieses interdisziplinäre Ökosystem: «Die Vielfalt des Netzwerks ermöglicht es, bewährte Konzepte aus einem Forschungsgebiet zur innovativen Nutzung in ein anderes Gebiet zu übertragen.»

Die besten Abwehrzellen gegen den Tumor finden

Der Bioinformatiker ist seit 2017 Professor an der Abteilung für Onkologie der Fakultät für Biologie und Medizin der Universität Lausanne und des Universitätsspitals Lausanne und Teil des Ludwig Institute for Cancer Research am Lausanner Standort. Mit seinen breiten Fachkenntnissen trägt er zur Entwicklung neuer Krebstherapien bei. Zum Beispiel befasst er sich mit der Optimierung der zellulären Immuntherapie. Bei diesen Behandlungen werden dem Patienten Immunzellen, die Tumorzellen angreifen können (T-Lymphozyten) entnommen, in Kultur vermehrt und wieder injiziert. Auf diese Weise können viele Immunzellen hergestellt werden. Die Methode ist aber nicht sehr effektiv, denn nicht alle T-Lymphozyten bekämpfen Tumorzellen gleich wirksam. Ausserdem mutieren Tumorzellen leicht, wodurch sie resistent werden können.

Im Rahmen eines aktuellen, vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten Projekts entwickelte Vincent Zoete mit seinem Team einen Algorithmus, mit dem sich T-Zellen in Familien klassifizieren lassen. Diese Klassifizierung hilft bei der Vorhersage, welche Zellen sich am ehesten an Tumorzellen binden und diese zerstören. Dadurch können die Forschenden die vielversprechendsten T-Zellen auswählen und vermehren. Durch diesen gezielten Ansatz kann die Wirksamkeit von Immuntherapien erhöht und gleichzeitig das Risiko von Resistenzen verringert werden.

Medikamentenentwicklung leicht gemacht

Die Entwicklung dieses Tools ist nur eines von vielen Projekten des Forschers. Er arbeitet mit seinen Teams auch an Algorithmen, welche die Suche nach Wirkstoffen für eine zielgerichtete Chemotherapie unterstützen. Die Modellierung hilft auch dabei, die Funktionsweise von Medikamenten oder die Auswirkungen von Mutationen bei den Patienten zu verstehen. Hinter seinem Bildschirm attackiert der Bioinformatiker also Tumoren von allen Seiten. Seine Arbeit trägt aber noch weitere Früchte: Als Gruppenleiter am SIB stellt er der wissenschaftlichen Gemeinschaft zahlreiche Websites und Datenbanken zur Verfügung und trägt damit zu weiteren Projekten in der Arzneimittelentwicklung bei. «Mit dem Wissen können wir Werkzeuge entwickeln, die wiederum helfen, weiteres Wissen zu generieren», erläutert der Forscher und fügt begeistert hinzu: «Dass die Leute unsere Algorithmen und Datenbanken nutzen, sehen wir an der Zahl der Zitierungen und Anfragen für Berechnungen und Unterstützung.»

Mit der Führung seiner beiden Gruppen ist der Terminkalender von Vincent Zoete ziemlich vollgepackt. Doch er forscht nicht nur: Weitergeben ist für ihn ebenso wichtig. Neben seiner Verantwortung für sechs Lehrveranstaltungen an der Universität engagiert er sich in Kommunikationsprojekten für die breite Öffentlichkeit. Mit seinen Teams bereitet er gerade ein Gesellschaftsspiel über die Entwicklung von Medikamenten vor. Es steht in zwei Varianten zur Verfügung: für ein allgemeines Publikum und in einer etwas detaillierteren Version für Schülerinnen und Schüler. Wird er selbst auch Zeit für das Spiel haben? Der leidenschaftliche Programmierer lacht: «Ehrlich gesagt bleibt mir neben meinen drei Kindern und der Forschung wenig Freizeit. Zur Entspannung koche ich oft. Das ist gar nicht so anders als Chemie!» Doch auch wenn ihm die Zeit für das Programmieren zum Spass fehlt, hat er immer noch Spass am Programmieren: «Es liegt mir viel daran, neben der Leitung der Labors noch mit eigenen Händen zu forschen und selber zu programmieren. So kann ich die Machbarkeit von Projekten testen, bevor ich meine Teams darauf ansetze, und vor allem bleibe ich in Kontakt mit dem, was ich gerne tue.»


Der Text dieser Medienmitteilung, ein Downloadbild und weitere Informationen stehen auf der Webseite des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung.
Regions: Europe, Switzerland
Keywords: Science, Life Sciences, Chemistry, Health, Medical, Applied science, Computing

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