Forschende am Paul Scherrer Institut PSI haben ein Konzept vorgestellt, wie sich Mobilität auf wirtschaftlich konkurrenzfähige Weise dekarbonisieren lässt. Eine wichtige Rolle spielt die erweiterte Nutzung von Kohlendioxid aus Biogasanlagen.
2022 betrugen die Schweizer CO2-Emissionen des Verkehrs ohne die internationale Luftfahrt 13,6 Millionen Tonnen. Dies entsprach 41 Prozent der Emissionen der Schweiz. Klimafreundlicher werden kann Mobilität nur durch den Umstieg auf CO2-arme Technologien. Für Personenwagen eignet sich der in diesem Fahrzeugsegment bereits etablierte Elektroantrieb. Für schwere Nutzfahrzeuge bietet sich aus technischer Sicht dagegen eher der Wasserstoffantrieb an, weil ein Wasserstoff-Lkw dem Batterie-Lkw in puncto Gewicht, Beladung, Ladezeit und Reichweite überlegen ist. Jedoch müsste der Strom, der für beide Fahrzeugtypen benötigt wird, aus erneuerbaren Quellen stammen. Sonst funktioniert die Dekarbonisierung nicht.
Das Problem: Im Winter, wenn die Sonnenscheindauer kürzer ist, sind beispielsweise die Mengen produzierten Solarstroms niedrig. Könnte es dennoch gelingen, übers ganze Jahr ausreichend erneuerbaren Strom und grünen Wasserstoff für den Strassenverkehr bereitzustellen, und zwar auf wirtschaftlich konkurrenzfähige Weise? Wie das möglich wäre, haben die PSI-Forscher Emanuele Moioli, Tilman Schildhauer und Hossein Madi nun in einer Studie gezeigt. Ihr Konzept beruht auf der geschickten Kombination von Stromproduktion und Biogasherstellung.
Zwei Umwandlungsschritte
Das Konzept sieht so aus: Im Sommer, teils auch im Frühjahr und Herbst, wenn mehr erneuerbarer Strom vorhanden ist als benötigt, werden die Überschüsse gespeichert – um sie im Winter, bei knappen erneuerbaren Strommengen, gezielt für die Mobilität bereitzustellen. Dafür sind mehrere Umwandlungs- und Rückumwandlungsprozesse vorgesehen.
Mit den Stromüberschüssen wird die Wasserelektrolyse durchgeführt, die Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff spaltet. Im Wasserstoff sind die Stromüberschüsse in umgewandelter Form gespeichert. Damit werden in einem weiteren Schritt zwei synthetische Kraftstoffe hergestellt, gasförmiges Methan (CH4) und flüssiges Methanol (CH3OH). «Sie sind unsere Energiespeichermoleküle und spielen im Konzept eine zentrale Rolle», sagt Emanuele Moioli vom Labor für nachhaltige Energieträger und Prozesse am PSI-Zentrum für Energie- und Umweltwissenschaften.
Dass der Wasserstoff nicht direkt gespeichert wird, hat folgenden Grund: Er lässt sich bei Umgebungstemperatur nicht verflüssigen und besitzt selbst in komprimiertem Zustand ein grosses spezifisches Volumen. Dadurch ist er schwer zu lagern und zu transportieren. Zudem fehlt es aktuell an einer ausgebauten Infrastruktur dafür. «Es ist viel besser, den Wasserstoff weiter in Methan oder Methanol umzuwandeln, weil deren Energiedichte viel grösser ist als die von Wasserstoff. Dadurch verringert sich der Platzbedarf erheblich, was sowohl die Lagerung als auch den Transport enorm vereinfacht.»
Biogasanlagen als dritter Sektor
Für die Herstellung der Energiespeichermoleküle braucht es jedoch einen Reaktionspartner, Kohlendioxid. Als CO2-Quelle sieht das Dekarbonisierungskonzept Biogasanlagen vor. Hier entsteht CO2 als Abfallprodukt der Biogasaufbereitung und ist somit sehr billig. Es lässt sich direkt für die Produktion von Methan und Methanol verwenden. Welche auch gleich an Ort und Stelle stattfinden soll, so Moioli. Neben den Fermentern, in denen Biomasse zu Biogas vergärt, stehen dann gemäss Konzept künftig weitere Behälter, in denen das abgeschiedene Kohlendioxid und der bereits produzierte Wasserstoff zusammenkommen, um entweder in Methan oder in Methanol umgewandelt zu werden. Soweit die Speicherung.
Herrscht im Winter Knappheit an erneuerbarem Strom, startet Teil zwei des Konzepts. Die beiden Synthesekraftstoffe werden zu einer zentral gelegenen Strom-H2-Tankstelle gebracht. Das flüssige Methanol gelangt auf Lastwagen dorthin, das gasförmige Methan idealerweise über bestehende Erdgasleitungen. «Was in vielen Fällen möglich ist, da Biogasanlagen Methan produzieren und ins Netz einspeisen», so Moioli. Alternativ könnte das Methan aber auch komprimiert und in Gasflaschen auf Schienen transportiert werden.
An der Strom-H2-Tankstelle findet die Rückumwandlung der gespeicherten Energie in einem ersten Schritt durch Reformierung statt, also indem man wieder Wasserstoff aus Methan gewinnt. Bei dem chemischen Prozess wird der Wasserstoff vom Methan beziehungsweise vom Methanol getrennt und steht sofort zum «Betanken» von H2-Fahrzeugen bereit. Die weitere Rückumwandlung in Strom für die Elektroautos erfolgt genauso an Ort und Stelle, durch Verbrennen des Methans in einer Gasturbine und des Methanols in einer Brennstoffzelle. Naheliegend wäre dabei eine Aufgabenteilung der Moleküle: Für die Bereitstellung von H2 bietet sich eher Methanol an, da der Prozess der Reformierung mit Methanol effizienter abläuft als mit Methan. Wohingegen sich Methan wegen des höheren Wirkungsgrads bei der Verbrennung besser für die Bereitstellung von Strom eignet.
Kostenabstand geschrumpft
Doch ist eine solche Dekarbonisierung von Mobilität wirtschaftlich? Zur Beantwortung dieser Frage werteten die Studienautoren öffentlich zugängliche Daten der Biogasanlage Werdhölzi in Zürich aus, um die erforderliche Grösse der geplanten Kraftstoffsynthesestation und die mit dem Bau einer solchen Anlage verbundenen Kapitalkosten zu berechnen. Moioli fasst das Ergebnis zusammen: Die in der Studie vorgeschlagene Bereitstellung von Strom und Wasserstoff aus gespeichertem Methanol oder Methan ist zwar teurer als heutiges Benzin. Aber eine sorgfältige Verbindung von Strom, Gas und Infrastruktur kann die Kosten dekarbonisierter Mobilität auf ein Niveau senken, bei dem schon «moderate Anreize» wie CO2-Zertifikate ausreichen, sie konkurrenzfähig mit fossilen Brennstoffen zu machen. Dabei wurde in der Kostenkalkulation die Vermeidung von Treibhausgasemissionen noch gar nicht miteingerechnet. Moioli betont, dass sich durch die CO2-Abscheidung und die dauerhafte Speicherung des Kohlendioxids sogar negative CO2-Emissionen ergeben.
Ein tragfähiges Konzept liegt also vor. Um aber einen Sektor wie die Mobilität komplett dekarbonisieren zu können, braucht es sehr grosse Mengen erneuerbaren Stroms. Die heute produzierten Mengen sind bei Weitem nicht ausreichend. Jedoch steht der Ausbau vor Hürden, sagt Moioli: «Das Ungleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot begrenzt die direkte Nutzung von erneuerbarem Strom und Wasserstoff gerade für Mobilität. Wir sehen es bei der Photovoltaik: Werden mehr PV-Anlagen installiert, haben die neuen Anlagen weniger Kunden. Denn im Sommer, wenn Solarstrom in grossen Mengen verfügbar ist, decken die bestehenden Anlagen bereits die Nachfrage.» Das bremse den PV-Ausbau, weswegen laut Moioli viel mehr Energiespeicher installiert werden müssten. Eine deutliche Vergrösserung der Speicherkapazitäten beschleunige den Ausbau der Photovoltaik - und schaffe damit die Grundvoraussetzung für eine künftige klimafreundliche Mobilität.