Tropische Regenwälder gehören zu den artenreichsten Lebensräumen der Welt und haben daher bei Schutzmaßnahmen oft Priorität. Ein wissenschaftliches Team aus Vietnam und Deutschland zeigte nun mit Hilfe von Wildtierkameras, dass die Vielfalt an bodenbewohnenden Säugetieren und Vögeln im Nui Chua Nationalpark (Vietnam) in einem Übergangsbereich zweier Vegetationszonen am höchsten ist: im halbtrockenen Wald zwischen trockenem Küstenwald und feuchten, immergrünen Regenwald. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung des Erhalts solcher Übergangszonen für den Artenschutz, schreiben die Forschenden in einem in der Fachzeitschrift „Biotropica“ veröffentlichten Beitrag.
Der Nui Chua-Nationalpark im Süden Vietnams ist der einzige Nationalpark in den trockeneren Küstenregionen des südostasiatischen Landes. Das Schutzgebiet weist eine einzigartige Vielfalt an Lebensräumen auf: lichten Trockenwald in geringen Höhenlagen, feuchten, immergrünen Wald in hohen Lagen und einen Übergangslebensraum aus halb-trockenem Wald dazwischen. In der Übergangszone des halbtrockenen Waldes im Nui Chua-Nationalpark wurde im Jahr 2018 das Vietnam-Kantschil (
Tragulus versicolor) – ein rehähnliches, katzengroßes Huftier, das auch als „vietnamesischer Maushirsch“ bekannt ist –
wiederentdeckt und erstmalig fotografiert und gefilmt.
Um grundlegende Informationen über das Vorkommen und die Verbreitung von Arten im Nui Chua-Nationalpark zu gewinnen, führte ein wissenschaftliches Team des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), des Southern Institute of Ecology in Vietnam und des Nationalparks zwischen 2018 und 2022 fünf Wildtierkamera-Erhebungen durch. „Auf der Suche nach dem Vietnam-Kantschil im Park war ich überrascht von der hohen Anzahl anderer Arten, die wir in der Übergangszone fotografieren konnten“, sagt An Nguyen,Doktorand in der Abteilung für Ökologische Dynamik des Leibniz-IZW. „Das inspirierte uns dazu, über das Vietnam-Kantschil hinauszuschauen und die Gemeinschaft der bodenbewohnenden Säugetiere und Vögel im Nui Chua-Nationalpark zu untersuchen.“ Das Team stellte Wildtierkameras an insgesamt 145 Stationen im gesamten Park auf, um die Vielfalt der bodenbewohnenden Säugetiere und Vögel systematisch zu erfassen. „Die größte Vielfalt fanden wir nicht wie erwartet in den Regenwald-Bereichen des Parks, sondern in den halbtrockenen Übergangsbereichen zwischen dem küstennahen Trockenwald und dem hochgelegenen Regenwald“, sagt An.
„Detaillierte Einblicke in das Vorkommen und die Verteilung von Wildtieren können bei der Naturschutzplanung und der Priorisierung begrenzter Ressourcen im Artenschutz helfen“, sagt Tran Van Tiep, Direktor des Nui Chua-Nationalparks. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir bei unseren Schutzbemühungen im Nui Chua-Nationalpark den Halbtrockenwaldgebieten besondere Aufmerksamkeit schenken sollten, zumal dieser Lebensraum die höchste Artenvielfalt und die größte Verbreitung des Vietnam-Kantschils, des Aushängeschildes unseres Parks, aufweist. Solange diese wichtigen Übergangslebensräume in der Pufferzone des Nationalparks liegen, sollten wir in Erwägung ziehen, sie in die strenger geschützte Kernzone des Parks aufzunehmen.“ Die Tatsache, dass sich die weltweit größte Population des stark bedrohten Vietnam-Kantschils wahrscheinlich in den halbtrockenen Wäldern von Nui Chua befindet, mache den Schutz dieses Lebensraums noch dringlicher, so die Forschenden in dem Fachzeitschriftenbeitrag. Über den Nui Chua-Nationalpark hinaus empfehlen sie, weitere Halbtrockenwaldgebiete in Küstenregionen Südostasiens zu identifizieren, deren Artenvielfalt zu erfassen und diesen Lebensraum auch dort zu schützen.
„Die Ergebnisse dieser Untersuchung stimmen mit der außergewöhnlich hohen botanischen Vielfalt überein, die wir in den halbtrockenen Küstenwäldern dokumentiert haben“, sagt Truong, Botaniker und Direktor des Southern Institute of Ecology. „Dies ist ein weiterer Beleg für die Bedeutung dieses Übergangslebensraums und für die Notwendigkeit, ihn entlang der Küstenprovinzen im Süden Vietnams zu schützen.“