Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology in den USA und der Freien Universität kombinierten eine Mischung aus schleimigen und klebrigen Proteinen / Studie in Zeitschrift PNAS
Ein internationales Forschungsteam des Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA und des Sonderforschungsbereichs „Dynamische Hydrogele an Biogrenzflächen“ an der Freien Universität Berlin hat einen neuartigen Klebstoff entwickelt, der die wasserfeste Klebrigkeit der Muschelplaques mit Schleim als keimabweisendem natürlichen Material kombiniert. Dieser neue, aus Schleim gewonnene Klebstoff verhindert die Ansammlung von Bakterien und behält seinen klebrigen Halt selbst auf nassen Oberflächen. Die Forschenden erhoffen sich, dass der Klebstoff, sobald seine Eigenschaften optimiert sind, als Flüssigkeit durch Injektion oder Spray aufgetragen werden könnte, die dann zu einem klebrigen Gel erstarrt. Das Material könnte zum Beispiel zur Beschichtung medizinischer Implantate verwendet werden, um Infektionen und die Ansammlung von Bakterien zu verhindern. Die Ergebnisse wurden veröffentlicht in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) https://doi.org/10.1073/pnas.2415927122
Im Tierreich sind Muscheln Meister der Unterwasserhaftung: Die Meeresmuscheln tummeln sich auf Felsen und am Boden von Schiffen, und können sich dank eines Unterwasserklebers, den sie über ihren Fuß absondern, an den Wellen des Ozeans festhalten. Diese hartnäckigen Klebestrukturen haben Wissenschaftler in den letzten Jahren dazu veranlasst, ähnliche bioinspirierte, wasserfeste Klebstoffe zu entwickeln.
Jede Oberfläche des menschlichen Körpers, die nicht von Haut bedeckt ist, ist mit einer schützenden Schleimschicht ausgekleidet – einem schleimigen Netzwerk aus Glykoproteinen, die als physische Barriere gegen Bakterien und andere Infektionserreger wirkt. In ihrer neuen Arbeit kombinierten die Ingenieure klebrige, von Muscheln inspirierte Polymere mit aus Schleim gewonnenen Glykoproteinen, den Muzinen, um ein klebriges Gel zu bilden, das stark an Oberflächen haftet.
Der neue Ansatz des Teams zur Herstellung von Klebstoffen könnte auch so angepasst werden, dass andere natürliche Materialien wie Keratin – eine faserige Substanz, die in Federn und Haaren vorkommt und bestimmte chemische Eigenschaften aufweist, die denen von Schleim ähneln - einbezogen werden.
„Die Anwendungen unseres Materialdesign-Ansatzes werden von den spezifischen Vorläufermaterialien abhängen“, sagt George Degen, Postdoktorand am MIT Department of Mechanical Engineering. „Aus Schleim gewonnene oder von Schleim inspirierte Materialien könnten zum Beispiel als multifunktionale biomedizinische Klebstoffe verwendet werden, die auch Infektionen verhindern. Oder die Anwendung unseres Ansatzes auf Keratin könnte die Entwicklung nachhaltiger Verpackungsmaterialien ermöglichen.“
Ein Artikel, der die Ergebnisse des Teams im Detail beschreibt, erschien am Montag (17. Februar 2024) in den Proceedings of the National Academy of Sciences. Zu Degens MIT-Koautoren gehören Corey Stevens, Gerardo Cárcamo-Oyarce, Jake Song, Katharina Ribbeck und Gareth McKinley, sowie Raju Bej, Peng Tang und Rainer Haag, Chemieprofessor der Freien Universität Berlin. Die international Zusammenarbeit ist Teil der Arbeit des Sonderforschungsbereichs „Dynamic hydrogels at biointerfaces” (www.sfb1449.de), dem Katharina Ribbeck und Rainer Haag angehören.
Eine klebrige Kombination
Bevor er zum MIT kam, war George Degen Doktorand an der University of California, Santa Barbara, wo er in einer Forschungsgruppe arbeitete, die die Haftmechanismen von Muscheln untersuchte. „Muscheln sind in der Lage, Materialien abzulagern, die innerhalb von Sekunden bis Minuten auf nassen Oberflächen haften“, sagt Degen. „Diese natürlichen Materialien haften besser als kommerzielle Klebstoffe, insbesondere auf nassen Oberflächen und unter Wasser, was seit Langem eine technische Herausforderung darstellt.
Um an einem Felsen oder einem Schiff zu haften, scheiden Muscheln eine proteinreiche Flüssigkeit aus. Chemische Bindungen oder Vernetzungen dienen als Verbindungspunkte zwischen den Proteinen und ermöglichen es der abgesonderten Substanz, sich gleichzeitig zu einem Gel zu verfestigen und an einer nassen Oberfläche zu haften.
Zufälligerweise finden sich ähnliche Vernetzungsmerkmale in Muzin – einem Protein, das der wichtigste nicht-wässrige Bestandteil von Schleim ist. Als Degen ans MIT kam, arbeitete er mit McKinley, einem Professor für Maschinenbau und Experten für Materialwissenschaften und Flüssigkeitsströmungen, und Katharina Ribbeck, einer Professorin für Bioingenieurwesen und führend in der Erforschung von Schleim, zusammen, um einen vernetzenden Klebstoff zu entwickeln, der die Klebeeigenschaften von Muschelplaques mit den bakterienhemmenden Eigenschaften von Schleim verbindet.
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Die MIT-Forscher haben sich mit Rainer Haag und anderen Forschenden in Berlin zusammengetan, die sich auf die Synthese von bioinspirierten Materialien spezialisiert haben. Rainer Haag und Katharina Ribbeck sind Mitglieder einer gemeinsamen Forschungsgruppe, die dynamische Hydrogele für Bioschnittstellen entwickelt. Haags Gruppe hat muschelähnliche Klebstoffe sowie von Schleim inspirierte Flüssigkeiten hergestellt, indem sie mikroskopisch kleine, faserartige Polymere produzierte, die in ihrer Struktur den natürlichen Muzinen ähneln.
Für ihre neue Arbeit konzentrierten sich die Forscher auf ein chemisches Motiv, das in den Klebstoffen der Muschel vorkommt: eine Bindung zwischen zwei chemischen Gruppen, die als „Catechole“ und „Thiole“ bekannt sind. Im natürlichen „Klebstoff“ der Muschel, dem Plaque, verbinden sich diese Gruppen zu Catechol-Thiol-Vernetzungen, die zur Kohäsionskraft des Plaques beitragen. Catechine verbessern auch die Adhäsion der Muschel, indem sie sich an Oberflächen wie Felsen und Schiffsrümpfe binden.
Es erwies sich, dass Thiolgruppen auch in Mucinen weit verbreitet sind. George Degen untersuchte, ob von Muscheln inspirierte Polymere sich mit Mucin-Thiolen verbinden könnten, sodass sich die Mucine schnell von einer Flüssigkeit in ein klebriges Gel verwandeln können. Um diese Idee zu testen, kombinierte er Lösungen natürlicher Muzinemit synthetischen, von Muscheln inspirierten Polymeren und beobachtete, wie sich die resultierende Mischung mit der Zeit auflöste und an Oberflächen haftete.
„Es ist wie ein Zweikomponentenkleber, bei dem man zwei Flüssigkeiten miteinander kombiniert, und die Chemie beginnt zu wirken, indem sich die Flüssigkeit löst, während sich die Substanz gleichzeitig an die Oberfläche klebt“, sagt George Degen. „Je nach Vernetzungsgrad können wir die Geschwindigkeit steuern, mit der die Flüssigkeiten gelieren und haften“, erläutert Rainer Haag. „Wir können das alles auf nassen Oberflächen, bei Raumtemperatur und unter sehr milden Bedingungen machen. Das ist das Einzigartige.“
Das Team trug verschiedene Mischungen zwischen zwei Oberflächen auf und stellte fest, dass der resultierende Klebstoff die Oberflächen mit Kräften zusammenhielt, die mit den handelsüblichen medizinischen Klebstoffen vergleichbar sind, beispielsweise jenden, die zum Verkleben von Gewebe verwendet werden. Das internationale Forschungsteam testete auch die bakterienhemmenden Eigenschaften des Klebstoffs, indem sie das Gel auf Glasoberflächen auftrugen und diese über Nacht mit Bakterien bebrüteten.
„Wir stellten fest, dass die Bakterien auf einer blanken Glasoberfläche ohne unsere Klebstoffbeschichtung einen dicken Biofilm bildeten, während mit unserer Beschichtung Biofilme weitgehend verhindert wurden“, sagt George Degen.
Nach Einschätzung der Forschenden kann mit ein wenig Tuning die Haftfähigkeit des Klebstoffs weiter verbessert werden. Wenn dies gelingt könnte das Material eine starke und schützende Alternative zu bestehenden medizinischen Klebstoffen sein.
„Wir freuen uns, dass wir eine Plattform für das Materialdesign geschaffen haben, die uns diese wünschenswerten Eigenschaften der Gelierung und Adhäsion bietet, und als Ausgangspunkt haben wir wichtige biomedizinische Anwendungen demonstriert“, sagt George Degen. „Wir sind nun bereit, unsere Arbeit auf andere synthetische und natürliche Systeme auszuweiten und andere Anwendungen anzustreben. Diese Forschung wurde zum Teil von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, den National Institutes of Health, der National Science Foundation und dem Army Research Office finanziert.
(übersetzte Textquelle: Jennifer Chu, MIT News)
Artikel in Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS):
https://doi.org/10.1073/pnas.2415927122