Die Haut ist das grösste Organ des Menschen. Sie macht etwa 15 Prozent unseres Körpergewichts aus und schützt uns vor Krankheitserregern, Austrocknung und Temperaturextremen. Hautkrankheiten sind daher nicht bloss unangenehm – sie können für die Betroffenen auch schnell gefährlich werden. Obwohl Leiden wie Hautkrebs, chronische Wunden und Autoimmunerkrankungen der Haut weit verbreitet sind, wissen wir häufig noch zu wenig darüber, warum sie entstehen und wie wir sie effektiv behandeln.
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, arbeiten Empa-Forschende gemeinsam mit Ärztinnen und Ärzten an einem Modell der menschlichen Haut, mit dem sich Hautkrankheiten simulieren und so besser verstehen lassen. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein Computer- oder ein Kunststoffmodell. Vielmehr wollen die Forschenden aus den Laboren «Biointerfaces» und «Biomimetic Membranes and Textiles» eine lebendige «künstliche Haut» herstellen, die Hautzellen enthält und die Schicht- und Faltenstruktur der menschlichen Haut emuliert. Das Projekt ist Teil der Schweizer Forschungsinitiative «SKINTEGRITY.CH».
Um etwas so Komplexes wie die menschliche Haut nachzubauen, brauchen die Forschenden zunächst einmal geeignete Baumaterialien. Hier hat ein Empa-Team kürzlich Fortschritte erzielt und ein Hydrogel entwickelt, das die komplexen Anforderungen erfüllt und zudem noch einfach herzustellen ist. Die Grundlage: Gelatine aus der Haut von Kaltwasserfischen.
Mehr als nur Zellen
Wie die meisten Gewebe besteht die Haut aus Zellen, die in eine sogenannte extrazelluläre Matrix eingebettet sind: ein Netzwerk aus Proteinen und anderen Biomolekülen, das dem Gewebe Form und Struktur verleiht und die Zellen unterstützt. Die extrazelluläre Matrix unterscheidet sich von Gewebe zu Gewebe – bei der Haut sogar von Schicht zu Schicht. Um ein repräsentatives Hautmodell herzustellen, braucht es also eine geeignete Substitution für diese Matrix.
Eine Möglichkeit, die extrazelluläre Matrix zu simulieren, sind Hydrogele: besondere Polymere, deren Ketten locker miteinander vernetzt sind. Das erlaubt ihnen, grosse Mengen an Wasser und anderen Flüssigkeiten aufzunehmen. Sie eignen sich insbesondere für die Simulation der extrazellulären Matrix der Haut, die viel Wasser und andere Flüssigkeiten enthält. Ein weiterer Vorteil: Viele Hydrogele lassen sich mit dem 3D-Drucker verarbeiten. «Der 3D-Druck ist ein mächtiges Werkzeug für die Entwicklung von Hautmodellen. Damit lassen sich die Hautzellen in bestimmten Mustern in die Hydrogel-Matrix einsetzen», sagt Kongchang Wei, Leiter der Forschungsgruppe «Tissue-Regenerative Soft Materials». «3D-Druck erlaubt uns, mehrere Materialien und Zelltypen in einer einzigen Struktur zu vereinen – wie dies bei der echten Haut auch der Fall ist.»
Nur: Gerade aufgrund ihrer Wasseraufnahmefähigkeit quellen die meisten Hydrogele stark, wenn sie nach dem 3D-Druck erstmals in Kontakt mit Flüssigkeit kommen. Das Quellen verändert ihre Form und führt zu Abweichungen vom Design des geschichteten Hautmodells. Zwar gibt es auch nicht-quellende Hydrogele, ihre Herstellung und ihr 3D-Druck sind in der Regel aber sehr komplex. «Wir haben festgestellt, dass die Natur bereits eine viel einfachere, elegantere Lösung hat», so Wei. Gelatine aus Kaltwasserfischen wie Kabeljau, Seelachs und Schellfisch lässt sich mit wenigen Handgriffen so vernetzen, dass sie zu einem nicht-quellenden Hydrogel wird, das mit Hautzellen gemeinsam bedruckt werden kann.
«Unser Hautmodell soll nicht nur die Schichten Dermis und Epidermis beinhalten, sondern auch die zwischen diesen beiden Hautschichten liegende Basalmembran abbilden», sagt Wei. «Mit dem Hydrogel auf der Basis von Gelatine aus Kaltwasserfischen sowie mit einer weiteren Polymerverarbeitungstechnik, dem Elektrospinnen, kommen wir diesem Ziel näher.»
Von Hautforschung zur Wundheilung
Ausserdem könnte das Hydrogel (ohne lebende Zellen) Anwendung als Verbandsmaterial finden. Wie Hydrogele aus tierischer Gelatine ist das resultierende Material biologisch kompatibel mit menschlichen Hautzellen und lässt sich 3D-drucken. Dabei weist es aber eine entscheidende Besonderheit auf: Da Fische evolutionär weiter vom Menschen entfernt sind, verursacht Fischgelatine weniger Immunreaktionen und birgt ein geringeres Risiko der Krankheitsübertragung als vergleichbare Materialien auf der Basis von Säugetier-Gelatine. «Fischhaut wird zurzeit als ein vielversprechendes Mittel zur Wundheilung erforscht», weiss Wei. «Unser Hydrogel ist homogener, sicherer und kann genau auf die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten zugeschnitten werden, beispielsweise mit unterschiedlichen Formen, Stärken und Festigkeit. Sogar die Integration von Medikamenten wäre denkbar», führt der Forscher aus.
Auch deshalb haben die Forschenden ihr Hydrogel auf Fischgelatinebasis zum Patent angemeldet. In einem nächsten Schritt wollen sie das lebende Hautmodell fertig entwickeln und anderen Wissenschaftlern zur Verfügung stellen. «Wir hoffen, damit ein besseres Verständnis für die Entstehung und die Behandlung von Hautkrankheiten zu fördern», so Wei. Ausserdem planen die Empa-Forschenden, das ungewöhnliche Quellverhalten ihres Hydrogels genauer unter die Lupe zu nehmen.
«SKINTEGRITY.CH»
«SKINTEGRITY.CH» ist ein kollaboratives und interdisziplinäres Forschungsnetzwerk, das besser verstehen will, was in der Haut auf molekularer Ebene bei Verletzungen, Heilung oder Krankheit geschieht. Es zielt auch darauf ab, die Diagnose und Behandlung verbessern und bietet jungen Hautforschenden und KlinikerInnen eine interdisziplinäre Ausbildung. Es wurde 2016 ins Leben gerufen und 2020 auf die ganze Schweiz ausgeweitet. Getragen wird die Initiative von der Universitätsmedizin Zürich (UMZH) und verschiedenen Forschungsinstitutionen, darunter auch der Empa. Die Empa-Labors «Biointerfaces» und «Biomimetic Membranes and Textiles» sind Teil des «SKINTEGRITY.CH»-Konsortiums.