Römische Steinarchitektur mit 25.000 Einzelsteinen und 5.000 Baubefunden wird in vernetzter digitaler Edition öffentlich zugänglich gemacht
Steinbauten aus der Zeit der römischen Besiedlung sind auch heute noch an vielen Orten in Deutschland zu finden und bezeugen das frühe städtische Leben hierzulande – und nicht selten auch eine wechselvolle Geschichte. Die Ruinen römischer Städte und Bauten prägten vielerorts die Landschaft bis ins Hochmittelalter, sie dienten aber auch als Steinbruch für neue Bauaufgaben wie beispielsweise dem Bau einer neuen Stadtmauer. Wurde die Stadtmauer später abgerissen, kamen die antiken Steine wieder zum Vorschein. Diese und andere Überreste römischer Architektur werden seit dem Jahr 2023 im Rahmen eines Langzeitvorhabens der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz erfasst und dokumentiert. "Die Ergebnisse werden frei zugänglich sein und einen niederschwelligen Zugang zur Steinarchitektur und zum Städtewesen im römischen Deutschland ermöglichen", erklärt Prof. Dr. Johannes Lipps, Projektleiter seitens der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). An dem Projekt sind außerdem die Römisch-Germanische Kommission (RGK) in Frankfurt und die Philipps-Universität Marburg beteiligt.
Langzeitvorhaben über 24 Jahre
Bei dem Vorhaben mit der lateinischen Bezeichnung "disiecta membra", was übersetzt soviel bedeutet wie "versprengte Glieder", sollen rund 25.000 einzelne Steine und 5.000 Bauten, wie beispielsweise römische Theater, erschlossen werden. Die Laufzeit beträgt 24 Jahre, das Fördervolumen beläuft sich auf 9,5 Millionen Euro. "An der Arbeitsstelle Mainz liegt der Fokus auf dem archäologischen Part, wir beschäftigen uns also nicht nur mit erhaltenen römischen Gebäuden, sondern vor allem mit den vielen einzelnen Bauteilen aus Stein, die als pars pro toto für nicht erhaltene römische Bauten stehen", erklärt Dr. Manuel Flecker, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Akademieprojekts an der JGU. "Die Überreste wurden in den letzten Jahrhunderten häufig nur geborgen und in Magazinen aufbewahrt, aber nie einer gründlichen Analyse unterzogen." Im Gegensatz dazu widmet sich die Römisch-Germanische Kommission den Wissenspraktiken, also der Erforschung, wie sich die Dokumentation der römischen Funde über die Jahrhunderte verändert hat und welche Akteurinnen und Akteure mitgewirkt haben. Die digitale Edition übernimmt die Universität Marburg, wobei die Ergebnisse mithilfe einer neuen digitalen Infrastruktur in bereits bestehende Datenbanken eingespielt werden.
In Mainz befasst sich das Forschungsteam vom Arbeitsbereich Klassische Archäologie am Institut für Altertumswissenschaften in den ersten drei Projektjahren in enger Zusammenarbeit mit der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE), der Landesarchäologie Mainz und dem Landesmuseum Mainz unter anderem mit der Herkunft der Baumaterialien des römischen Mogontiacum, wie etwa den vielen unterschiedlichen Sandsteinen. "Deren Herkunft wurde bisher kaum thematisiert und ist demnach oft nicht bekannt", erklärt Thomas Heide, der im Projekt genau dafür verantwortlich ist. Manuel Flecker arbeitet hingegen gerade zu den frühesten Steinmonumenten des römischen Mainz, die in die Zeit von Kaiser Augustus datieren. Dazu gehört beispielsweise ein Konsolgeison, das in einem Magazin der GDKE in Mainz-Mombach lagert. Der 1,5 Meter lange und 30 Zentimeter hohe Stein entstammt einem Kranzgesims, das ursprünglich an einem repräsentativen Grabbau angebracht war. Dann wurde das Stück zwischenzeitlich für einen anderen, allerdings heute unbekannten Zweck umgenutzt und schließlich im Bühnenraum des spätantiken römischen Theaters als Fundament wiederverwendet. "Hierfür wurde ein sehr feiner, heller Kalkstein aus Lothringen importiert, mit dem die Römer auch sonst häufig arbeiteten", berichtet Flecker mit einem Hinweis darauf, dass die Bauwerke immer farbig gestaltet wurden, auch Grabsteine.
So wird jeder Stein und jedes Bauwerk nach zahlreichen Kriterien wie Form, Dekor und stilistischer Ausarbeitung untersucht und wenn möglich zeitlich genau datiert. Dazu tragen Bauwerke bei, die sich beispielsweise anhand von Inschriften fast aufs Jahr genau einordnen lassen und dadurch weitere Zuordnungen erleichtern.
Vielfältige Nutzung der dokumentierten Daten möglich
3-D-Rekonstruktionen, Fotos, Zeichnungen und Beschreibungen liefern Informationen für die Architektur- und Sozialgeschichte, für die Bau- und Stadtforschung, für die Provenienz- und Netzwerkforschung gleichermaßen. Die Daten können der lokalen Denkmalpflege dienen, den Bewohnerinnen und Bewohnern zum Beispiel über eine Jupitergigantensäule an ihrem Ort Auskunft geben, der Wissenschaft Anhaltspunkte für weitere Forschungen bieten oder Museen im Hinblick auf Ausstellungsstücke informieren.
Die großangelegte digitale Edition "disiecta membra. Steinarchitektur und Städtewesen im römischen Deutschland" ist ein Langzeitvorhaben der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz im gemeinsam von Bund und Ländern geförderten Akademienprogramm.
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