Kalzium- und Strontiumisotope aus Knochen und Zähnen heutiger Reptilien liefern Vergleichsdaten für die Nahrungsrekonstruktion fossiler Arten
Wie kam es in der Evolution zur Ausbildung von Fleischfressern und Pflanzenfressern? Wie haben sich ausgestorbene Wirbeltiere ernährt? Und wie können wir etwas über ihre Ernährung in Erfahrung bringen? Bei lebenden Tieren können wir beobachten, wovon sie sich genau ernähren. Bei ausgestorbenen Arten ist die Wissenschaft auf morphologische oder chemische Informationen aus den Fossilien angewiesen. Forschende um Prof. Dr. Thomas Tütken von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben einen Referenzrahmen nahrungsanzeigender Isotopenzusammensetzungen für heute lebende Reptilien erstellt, der für die Arbeit mit Fossilien wertvolle Hilfestellung bietet. "Mit dem Reptilienreferenzrahmen haben wir ein Instrumentarium zur Hand, um die Ernährung ausgestorbener Tiere wie zum Beispiel Dinosaurier besser als bisher zu rekonstruieren", sagt Thomas Tütken. "Ein solcher Vergleichsdatensatz hat bisher gefehlt." Die Forschungsarbeit wurde in dem renommierten Fachmagazin
Proceedings of the Royal Society B veröffentlicht.
Reptilien haben ganz unterschiedliche Ernährungsgewohnheiten
Reptilien zeigen heute eine breite Palette von Ernährungspräferenzen, die von pflanzen- bis zu tierfressenden Gewohnheiten reicht. Aber auch Ernährungsspezialisierungen kommen vor: Meerechsen, die sich von Algen ernähren, insektenfressende Chamäleons, Krustenechsen, die Eier bevorzugen, oder Spitzenprädatoren wie das Leistenkrokodil und der Komodowaran, die komplett auf Fleisch setzen. "Diese Vielfalt erschwert die Rekonstruktion von Ernährungspräferenzen bei ausgestorbenen Tieren", sagt Tütken, Paläontologe am Institut für Geowissenschaften der JGU.
Die ältesten bekannten Vorfahren unserer heutigen Reptilien haben vor über 300 Millionen Jahren gelebt. Das früheste bekannte Reptil ist
Hylonomus, es ähnelt einer Eidechse und lebte vor rund 315 Millionen Jahren im heutigen Kanada. Die frühen Reptilien weisen häufig gemeinsame Merkmale in der Morphologie ihres Schädels, Kiefers und der Zähne auf, die auf eine Tendenz zur insektenfressenden Ernährung hindeuten. Der genaue Zeitpunkt der Ernährungsumstellung von Insekten- zu Fleisch- und Pflanzenfressern in der Erdgeschichte ist jedoch unklar.
28 Reptilienarten legen die Basis für den geochemischen Referenzrahmen
Für die Rekonstruktion der Ernährung sowohl bei ausgestorbenen als auch bei lebenden Wirbeltierarten kann nun der Referenzrahmen genutzt werden. Dazu hat die Gruppe um Tütken 28 lebende Reptilienarten herangezogen und Kalzium- sowie Strontiumisotope in deren Knochen und Zähnen analysiert, die mit der Ernährungsweise systematisch variieren. "Um einen umfassenden Bezugsrahmen zu schaffen, haben wir Reptilien mit ausgeprägtem pflanzen- beziehungsweise tierfressendem Verhalten ausgewählt, aber auch Nahrungsspezialisten", sagt Tütken. Der Wissenschaftler nennt als Beispiele Alligatoren, Warane, Leguane und Chamäleons. Im Falle von Kalzium wurden insbesondere die Isotope Kalzium-44 und Kalzium-42 bestimmt. Es zeigte sich, dass mit jedem Schritt in der Nahrungskette das Verhältnis von Kalzium-44 zu Kalzium-42 abnimmt. "Das heißt, Insektenfresser weisen die höchsten Werte auf und unterscheiden sich deutlich von anderen Ernährungskategorien", sagt Dr. Michael Weber, Erstautor der Studie. In der Rangliste folgen Pflanzenfresser und Fleischfresser mit dem niedrigsten Isotopenverhältnis. Besondere Ernährungsweisen etwa von marinen Leguanen oder von Eierfressern können ebenfalls detektiert werden.
Die Ergebnisse zeigen für das Isotopenverhältnis von stabilem Strontium-88 zu Strontium-86 derselben Arten ein vergleichbares Bild, liefern aber noch verfeinerte Informationen über die Ernährung. "Wir haben erstmals einen umfangreichen Referenzrahmen für stabile Strontiumisotope als Ernährungsproxy erstellt. Er deckt sich weitgehend mit den aus den Kalziumisotopen bestimmten Ernährungsformen", sagt Dr. Katrin Weber, Mitautorin und ehemalige Doktorandin der AG Tütken. "Allerdings sind im Gegensatz zu Kalzium von Strontium nur sehr geringe Mengen in Zähnen oder Knochen enthalten, die der Veränderung bei Bodenlagerungsprozessen unterliegen, sodass die Anwendung bei Fossilien ausgestorbener Arten zum Teil problematisch ist und Kalzium hier eine bessere Perspektive bietet."
Ein weiteres Ergebnis der Analysen ergab, dass das Kalziumisotopenverhältnis für Reptilien im Vergleich zu Säugetieren – hier besteht bereits ein Referenzrahmen – bei gleicher Ernährungsweise höher ausfällt, was eventuell mit verschiedenen physiologischen Faktoren erklärt werden könnte. Das zeigt allerdings auch, dass die Daten für Säugetiere nicht ohne Weiteres zum Vergleich mit ausgestorbenen Reptilienarten wie Dinosaurier herangezogen werden können.
Mechanische Abnutzungsspuren an den Zähnen liefern zusätzliche Ernährungshinweise
Neben den chemischen Nahrungsspuren wurde ein weiterer Baustein hinzugezogen, um künftige Rekonstruktionen zu ergänzen: Mechanische Abnutzungsspuren an den Zähnen, die durch die Nahrung entstanden sind. Ob ein Tier hartes oder weiches Futter zu sich genommen hat, kann anhand von Kratzspuren an der Zahnoberfläche unterschieden werden und damit zusätzlich Auskunft über die Ernährung von ausgestorbenen Arten liefern. Diese Daten wurden zuvor im Rahmen einer Kooperation mit Dr. Daniela Winkler, heute an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, an Zähnen derselben modernen Reptilien erhoben und mit den Isotopendaten kombiniert. Sie erlauben es, Tierfresser, die größere Mengen an abrasiven Hartgeweben wie zum Beispiel Schalen oder Knochen mitfressen, von solchen Tieren, die überwiegend Weichgewebe fressen, zu unterscheiden.
"Um die Daten chemischer und mechanischer Nahrungsspuren von fossilen Exemplaren vollständig zu verstehen und zu interpretieren, mussten wir zunächst heute lebende, eng verwandte Arten mit ihren bekannten Ernährungsgewohnheiten untersuchen. So haben wir einen Referenzrahmen für den Vergleich und die genaue Zuordnung der Ernährung erhalten, damit wir in Zukunft das Ernährungsverhalten ausgestorbener Arten noch präziser rekonstruieren können", fasst Thomas Tütken zusammen. Der Wissenschaftler hat 2016 einen ERC Consolidator Grant für sein Forschungsprojekt zur Ernährung der ersten Landwirbeltiere erhalten, mit dem auch die jetzt vorgelegte Arbeit unterstützt wurde.
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